vom traummann gefunden

 

In ein Büro will sie nicht, lieber unter Menschen - etwas Kommunikatives. Sie sitzt im Esszimmer, blättert in der großen Zeitung. "Oh. Da!". "Was denn, Liebes?", fragt die Oma, die ihre Füße am Tagesbett hochlagert und Siesta hält. "Rezeptionistin gesucht. In einer Freizeitanlage.". "Hört sich gut an.", redet ihr die gute Seele zu.

 

Wenige Tage später fängt sie dort an, ist beliebt, weil sie Spaß am Freundlichsein und Verantwortung hat und feststellt, dass die Gäste immer gut gelaunt sind in Freizeitstimmung und sich deren Körper frisch aus dem Fitnessraum, der Sauna oder Tennis gut ansehen lassen. Sie spielt im trendigen Squash-Club und trifft unter anderem Arti wieder, der inzwischen in Wien Medizin studiert, aber gehört hat, dass sie zurück ist aus Italien.

 

 

Eines Tages versperrt ein VW-Käfer die Ausfahrt und sie holt vier der Bodybuilder aus dem Trainingsraum, die das Fahrzeug wegtragen und unterhält sich gut mit Rafting-Weltmeister und Welser Politiker, die zum Tennis kommen und einem hübschen, brünetten, blauäugigen 25jährigen, der ihr seine Telefonnummer auf den Tresen schreibt und sie in den Sonnhof zum Essen einlädt.

 

 

Ab dem Tag fährt sie mit seinem schwarzen Golf-Cabrio zur Arbeit. Eines Tages etwas schneller, weil sie knapp dran ist - leider hat sie einen Polizeiwagen mit Blaulicht hinter sich, fährt noch schneller, weil sie die Sauna einschalten muss, damit die Stammgäste um punkt Neun rein können. Irgendwie schafft sie es, diese über kurvige Schleichwege abzuhängen, parkt den Wagen hinter der Anlage, läuft durch den Hintereingang zum Saunaschalter und nach Vorne, um den Eingang aufzusperren. Als sie hochsieht stehen die beiden Polizisten vor ihr. "Ist hier sonst noch wer?". "Nein. Noch keiner da.". Sie fahren wieder. 

 

Im Winter planen sie zusammen eine USA-Reise, da er in den kalten Monaten frei hat.

 

Ankunft JFK: Die Sitze in den Wartehallen sind ein kleines Cockpit mit eingebautem Mini-TV, es wird nicht geraucht, die Luft ist so elektrisch aufgeladen, dass Lillys lange, dunkle Haare zur Hallendecke stehen, wie bei einem Pfau. Wie immer findet er das witzig - der 25jährige Traummann, den sie als 19jährige noch heiraten, drei Töchter zur Welt bringen, zwei Häuser bauen und sehr lange zusammenleben und viel Spaß haben wird.

 

Es liegt ein halber Meter Schnee am Rand der Straßen, es ist kalt und im Central Park wird auf dem zugefrorenen Teich schlittschuhgelaufen, was die beiden aus dem Fenster des gelben Taxis sehen können. "Wie in einer Märchenwelt.". "Ab ins Hotel, oder?". Sie sind sich einig, sich zuerst einzurichten für die nächsten Wochen und dann in Ruhe die berühmte 8-Millionen-Einwohner-Stadt im Osten der USA zu erkunden.

 

 

"Wir brauchen auf jeden Fall einen Plan, damit wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind.". Lilly liest sich nachts den Reiseführer durch, notiert sich die Öffnungszeiten auf einer Art Timetable und gewöhnt sich schon mal an die unaufhörlichen Sirenen der Police - mal näher - mal weiter weg.

 

Das Hotel liegt nahe dem Central Park in einer netten Gegend. "Mitten drin, statt nur dabei!", freut sie sich über die tolle Lage, wo sie wenn sie um die Ecke der Straße guckt, die Twin Towers sehen kann. Da wollen sie auch gleich mal hin und marschieren los.

 

Die Türme sehen zum Greifen nah aus - dass dieser Spaziergang auch gleich ein Marsch durch Chinatown, Soho und Manhattan wird, kommt ihnen erst in den Sinn, als sie die Distanz auf dem Stadtplan mit dem Finger nachziehen. "Ja, komm. Das machen wir.". Seit sie ihn kennt, hat sie sowieso Superkräfte, fühlt sich unbesiegbar, körperlich und mental wie ein Felsen.

 

So verschieden wie diese drei Stadtteile werden später auch ihre Töchter sein: Exotisches Chinatown, künstlerisches Soho und Business-Manhattan. Sie bleibt bei jedem Laden stehen und deckt sich mit allem ein, was man sich auf chinesisch wünschen kann: verschnörkelte Notizhefte, bunte, kleine Täschchen mit orangen Quasten dran, exotisch bemalte Fächer, Instant-Suppen im Becher mit chinesischen Schriftzügen, Glückskeksen, uvm. und steht dann mit diesen unzähligen Tüten in den puristischen Räumen der teilweise sehr versteckten und unauffälligen Galerien zu denen oft kleine Treppchen führen von der Straße aus.

 

Sie glaubt, jeden Moment in der nächsten Galerie Kim Basinger mit ihrem Männerhut und Mickey Rourke mit den Ballons in der Hand zu treffen. "Oder war das umgekehrt?". Und das ist nicht der einzige Film in dem sie sich gerade befindet.

 

 

"Für wie viele Movies diese Stadt als Kulisse herhielt?". Er geht schnell, sie auch - schließlich haben sie ein Ziel vor sich, doch die Twins werden keinen Deut größer am Himmel zwischen den Gebäuden. Kurz vor 17 Uhr erreichen sie Ground Zero mit einer vielen Liften. Die fünfzehn Minuten ganz oben in einem der Twins waren trotzdem wunderbar, mit nichts zu vergleichen. 

 

 

Sie hat das Gefühl, er macht alles möglich und das passt zu ihrem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten von Amerika, denn hier weht so ein gewisser Wind von Freiheit - es ist nicht ein Teil der Welt, sondern man hat das Gefühl, das hier ist die Welt. Die Freiheitsstatue passt genau zu diesem Feeling. Lilly und ihr Zukünftiger starten wieder vom Hotel weg mit Ziel: State of Liberty.

 

Sie wandern durch das fast urwalddichte Grün des Central Parks, glauben auf jeder Parkbank Woody Allen zu sehen, schlendern über die vielbefahrende 5th Avenue, kommen endlich bei Tiffanys an, sind enttäuscht von der "eingebunkerten", winzigen, aber kostbar wirkenden Auslage. Sehr viel mehr sind beide beeindruckt vom Trump Tower und dem ganzen Marmor, goldenen Protz und Prunk, Indoor-Wasserfall und den Bronzestatuen.

 

 

Im Macys machen sie echt gute Fotos auf der Rolltreppe, kehren aber wieder um, weil Lilly nicht nochmal den Fehler machen will, mit Einkaufstüten weiterzulaufen. Im Empire State Building, das von seiner Eröffnung 1931 bis 1972 das höchste Gebäude der Welt war, warten sie genau solange auf einen der vielen Lifte, dass Lilly die goldene Tafel mit den unzähligen Firmennamen überfliegen kann, kaufen ein paar Schlüsselanhänger, über die sich immer jeder zuhause freut, versenden Ansichtskarten und genießen auf der 102. Etage den Blick über die amerikanische Weltmetropole.

 

Nach einem Imbiss und dem Walk durch einen kleinen Park, kommt die Insel, auf der die Liberty State ihren Arm gegen den Himmel streckt in Sichtweite. Nur noch die Überfahrt mit der Fähre auf Liberty Island trennt sie vom Jugendtraum, Fotos mit dieser Libertas, der römischen Göttin der Freiheit, zu machen und zu erkunden, wie weit man sie erobern kann.

 

 

Ganz andere Perspektiven ergeben sich jedoch auf dem Beton-Stern, nämlich Bilder mit der Skyline von New York City als Kulisse. Lilly ist sprachlos und er hat das Bedürfnis sie durch die Luft zu wirbeln und wem anderen das fotografieren zu überlassen. Ihr schwarzer, überlanger, kuscheliger Mantel, die Boyfriend-Jeans, schwarzes Shirt und Boots matchen einfach mit ihm und beide haben echt Interessanteres im Kopf und vor, als sich um Äußerlichkeiten zu kümmern. Die beschwingte Freude passt wunderbar zu diesem Hintergrund aus Wolkenkratzern im kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum der Welt.

 

Natürlich erklimmen sie die Treppen in der grünen Statue, die seit 1886  und natürlich auch noch die letzten Meter in die Krone, wo Lilly in das Buch der Lady Liberty fotografiert, weil sie immer schon mal wissen wollte, ob da etwas drinnen steht. Von den fast 93 Metern Höhe hat man einen grandiosen Blick auf New York und es könnte fast ein bisschen schwummrig werden, wenn er sie nicht so trittsicher und kräftig mitziehen würde.  

 

Die letzte Fähre bringt sie wieder zurück ans Festland, wo es am Times Square lecker Steak gibt und er sich über das von selbst erneuerte Wasser am Tisch und öfter nachgefüllten, leichten Kaffee freut.

 

 

 

Sie treten in das weltberühmte Plaza, durch dessen öffentliche Bereiche Lilly zumindest einmal schlendern will, weil dort Kevin sich schon einquartiert hat und Trump durch das Filmmaterial als Gast in seinem eigenen Hotel, was sich am goldenen, königlichen Prunk und Protz zeigt, schreitet, ein. Es reicht für einen Drink an der Bar, dessen kleine, weiße Serviette mit goldenem Plaza-Aufdruck dann als Erinnerungsstück in Lillys Tasche kommt. Das New Yorker Luxushotel gibt es seit 1907 - den Central Park 1873.

 

 

Die Fahrt mit dem amerikanischen Mietwagen, der gefühlt etwas größer in der Ausführung ist, als die europäische Variante, führt diesmal in die entgegengesetzte Richtung von Manhatten. Gegen Ende des Central Parks häufen sich die halb verfallenen Hochhäuser, aus deren nicht vorhandenem Fensterglas Vorhänge wehen, die Menschen sind nicht hellhäutig, Geschäfte oder Restaurants sind keine mehr zu sehen, auch keine helle Beleuchtung oder Autos.

 

Sie hat ein komisches Gefühl alleine an der roten Ampelkreuzung zu stehen. Sie drückt die Türschließer nach unten, als sie einen Kopf hinter einem der Vorhänge sieht. "Jetzt fehlt nur noch Gangsters Paradies im Radio.". Ihm macht es nicht so viel aus, weil er die Zugbrücke fokussiert, die sie gleich erreichen werden und über die sie in die Umgebung ausfahren wollen.

 

 

Lilly fühlt sich gar nicht mehr so in Freiheit, wie im Zentrum - sie vertieft sich in den Reiseführer, als plötzlich zwei Schwarze an den Wagen kommen, einer läuft gleich weiter zu den Wagen vor ihnen. "Wuh, fahr einfach.". "Wohin denn?". Sie stehen in einer Reihe mit anderen, alle warten, bis sich der mächtige Teil der Brücke senkt, eine Überfahrt möglich ist. Der Schwarze, der nicht gerade aussieht, als wolle er einen Blumenstrauß überreichen, klopft am Fenster, macht eine Bewegung mit den Fingern, als möchte er etwas kassieren. Er greift zum Türgriff des Wagens, den Lilly zuvor eingerastet hat - das Letzte, was sie brauchen kann, ist eine Messerstecherei. Sie dürfte nicht mal den Mietwagen fahren hier.

 

 

Sie schreit den Typ an, er soll verschwinden. Ihrem Zukünftigen scheint das alles nichts auszumachen, als wäre nichts weiter, gibt er den Gang rein, fährt los, da die Brücke endlich so weit ist. Die beiden Burschen laufen weg, verschwinden zwischen den Häusern.

 

Sie freut sich über das gemütliche Zimmer in der wahnsinnig großen Hotelanlage mitten im Nirgendwo. "Könnte Trump gebaut haben.", kommentiert Lilly die protzige Eingangshalle mit Marmor und Gold. Das Zimmer im fast obersten Stockwerk ist klassisch mit beigem Teppich, elektrisch, synthetischen weiß-goldenen Überdecken, die es zwischen den Fingerspitzen heftig schnalzen lassen, die Funken sprühen, wenn man wohin greift. Es ist ein einziger Komplex, hell beleuchtet, im Dunkel der Umgebung.

 

Lilly lenkt sich mit einem Getränk aus der Minibar mit amerikanischen Magazinen und Pay-TV von der Abgeschiedenheit ab und zum Glück ist sie nicht alleine hier.

 

 

"Die steht ja hier wie bestellt.", freut sich Lilly über die Stretch-Limousine auf dem Vorplatz vor des Kapitols. Sie nutzt diese für Fotos, die im Hintergrund das pfeilgerade Washington Monument am Ende des länglichen Parks haben. Das hat sie hier alles so nicht erwartet, dachte eher hier in Washington D.C. gibt es das Weiße Haus und gut so.

 

Aber nein, hier gibt es ein Parlament, ein Monument, einen Park, die Washington Post, die Weltbank, die Weltgesundheitsorganisation, das Lincoln Memorial uvm. Seit 1800 geht es hier auf jeden Fall sehr politisch und weltpolitisch zu und so auch das besondere Flair in der City: Bücher, Zeitungen, Pubs und schnelle Cafés wie in Mailand für die vielen Männer in Anzügen und Frauen in Kostümen.

 

Da es keine Wolkenkratzer gibt, zieht nichts den Blick nach oben, sondern eher auf das Grün der üppigen Bäume. Namensgeber der Stadt ist George Washington, dem ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Diesem ist auch das 169 Meter hohe Monument gewidmet, welches sich vom Lincoln Memorial aus gesehen im Reflecting Pool spiegelt, an dessen Rand zum Glück Bänke in weiten Abständen auf die Spaziergänger warten, die im Kies entlang des Wassers vom Kapitol zum aufragenden Monument schlendern.

 

 

Die Fahrt im Aufzug hat etwas Abenteuerliches, aber die Aussicht belohnt dafür - und je kleiner die Häuser alle hier sind, umso großartiger sticht dieses Machtsymbol heraus. "Da drinnen hält er sich also auf - der mächtigste Regent der Welt.", staunt Lilly mehr oder weniger kurz sprachlos, dass sie nun wirklich hier steht und sie nur noch dieser grüne Gitterzaun vom politischen Gemäuer trennt. Sie stellt sich für ein Foto auf die Mauer und lehnt sich an das Gitter.

 

"Wahrscheinlich werden wir von einem der Sicherheitsbeamten oder Scharfschützen am Dach beobachtet.", albert sie in ihrer braunen Cordjacke herum und macht Faxen im Gesicht. Nicht nur der Nachname des Präsidenten wurde verewigt, sondern es gibt auch Georgetown, wo Lilly ein altes Steinhaus entdeckt, das direkt so aussieht, als wäre es einem alten Western entsprungen.

 

 

"Vielleicht ist es der Laden der Kaufmannsfamilie in `Unsere kleine Farm`?" und stellt fest, dass es tatsächlich original aus dem Jahre 1764 stammt und eines der ersten Gebäude ist, so wie es da steht, welches nach Eintreffen der Europäer auf indianischem Boden gebaut wurde. Im National Museum of the American Indian können sich Interessierte ansehen, wie die Menschen ausgestattet waren und lebten, die vor dem Entstehen der Vereinigten Staaten von Amerika Grund und Boden bewohnten und bewirtschafteten.

 

"Was wir wohl noch alles erobern werden? Den Mars?", sinniert sie im idyllischen Pub in den gemütlichen Gassen und Straßen der sauberen Regierungs-Stadt ohne Wolkenkratzer. "Ich werde dich erobern.", erinnert er sie daran, dass ihn gefragt hat, ob sie in Las Vegas - wenn sie schon mal da sind - auch gleich heiraten wollen und er einfach "Ja." sagte. "Tja, das hast du ja schon."

 

 

"Es ist nicht alles Miami Beach, was Miami ist.", stellt Lilly fest, als sie durch die Traumcity in Florida fahren - mit offenen Autofenstern, durch die die warme Luft des Ozeans ihre Gesichter küsst. Jetzt versteht sie auch den Erfolg von Miami Vice, denn Krimi und Verbrechen gibt es hier sicher genug. Aber bestimmt auch viel Spaß, wie bei den Golden Girls und viel Luxus und Schönheitschirurgie wie bei Nip & Tuck.

 

"Also, wenn ich reich werden möchte in Miami, würde ich Brückenbauer werden.", stellt Lilly fest und überlegt, wie das auf sandigem Untergrund so stabil gebaut werden kann. "Und die ganzen Hurricanes.". Trotz allem ist jedes Gebäude, jede Brücke, die vielen Boote, welche als alltägliche Fortbewegungsmittel benützt werden, die zahlreichen Architektur-Candys, der Strandabschnitt mit den einzigartigen Art-Deco-Hotels, uvm. - dies alles scheint wie eine einzige, märchenhafte Filmkulisse. 

 

 

Am liebsten möchte Lilly selbst in eines der schnittigen Motorboote springen in schnittigem Anzug wie ein Typ in Fast & Furious, James Bond, True Lies oder einfach viel Spaß haben am Beach und in einer der schicken, pastellfarbenen Bars, wie Cameron Diaz in ihrem Anfängerwerk `Verrück nach Mary`. 

 

Die Karibik scheint zum Greifen nah und alles wirkt auch kubanisch hier. Am meisten im nicht so schönen Viertel Little Havanna, doch genau hier will er zum Frisör, weil er den Wuschel am Kopf in der Hitze der Stadt nicht mehr aushält - genau vor diesem Laden ist auch noch ein Parkplatz frei. Lilly hält da nicht so viel davon, als sie sieht, dass die kubanische Frisörin, den Föhn vorne hält, wo es heiß rausbläst, wahrscheinlich auch das Gehäuse heiß ist und unter ihren Fingern brennen muss.

 

 

"Wieviel hat sie dir bezahlt dafür?", lacht Lilly nun jedes Mal, wenn sie ihn ansieht, bemerkt, dass das Dade County Courthouse mindestens genauso groß ist, wie die Wolkenkratzer im Finanzdistrikt, was wohl ein Überbleibsel der extremen Drogen- und Geldwäsche-Vergangenheit Miamis Anfang der 80er-Jahre ist. Auf die vorgelagerte Insel mit der Inselstadt Miami Beach, wo die Baywatch-Hüttchen nicht rot sind sondern pink-türkis, kommt jeder, der über eine der Brücken fährt.

 

Sie lassen ihren Wagen an der Südspitze der Straße vor der berühmten Hotelreihe direkt am Strand stehen, schlendern nicht nur an den Gebäuden vorbei, sondern auch in jeden Empfangsbereich und Hotelbar hinein, denn da eröffnen sich architektonische, farbenfrohe Interieur-Schätze, die man so schnell nicht mehr wo findet. Ein Art-Deco-Design-Meisterstück nach dem anderen - mit viel Liebe zum Detail.

 

 

Nach einem Eisbecher und langen Strandspaziergang erfreut sie ein Strafzettel am Fahrzeug. "Und nun? Das ist doch ein Mietwagen.". "Ja, weiß ich auch nicht. Sollen sie uns nachschicken.". Er lässt ihn verschwinden und zwischen roten und orangen Ferraris und chromblinkenden Oldtimern suchen sie nun ihr eigenes Hotel mit der großen City-Map auf der letzten Seite des Reiseführers.

 

"Hast du ihm den Kieselstein zugeworfen?". "Nein, siehst du doch, dass ich den noch in der Hand habe.". Er hält die offene Handfläche in ihre Richtung. "Ja, dann hattest du zwei davon. Stell dir vor, dass bewegt sich, was machen wir dann?". Lilly steht wie gebannt in der Mitte einer Straße, die seitlich von zwei Metern abgemähtem Gras flankiert werden, auf dem ein Krokodil liegt - zwar gemütlich, aber ein bisschen ungewöhnlich ist das für Lilly nun schon so ganz ohne Zaun.

 

Sie befinden sich auf einem Spaziergang durch einen Naturpark in den Everglades in Florida. "Oh. Guck.". Sehr langsam öffnet das Urtier seine Beißklappen, die bis eben noch aufeinandergepresst und geschlossen waren, so dass man die ineinander verhakten, weißen Zähne außen sehen konnte. "Das ist doch mehr als zwei Meter lang.", staunt sie über die Größe des Tieres, dessen Schwanz leicht gebogen bis ins Schilf reicht und das Ende gar nicht sichtbar ist.

 

"Du hast ihn getroffen, gib es zu, sonst würde er sich nicht bewegen. Hauptsache er bleibt liegen jetzt.". Lilly merkt, wie die Personen vor ihr sich schon weit entfernt haben und hinter ihnen niemand nachkommt. Sie stehen also alleine mit dem Kroko am Straßenrand direkt vor ihm. Ihm ist das egal, er geht weiter - Lilly nicht. Sie starrt gebannt auf die regungslosen Augen und das geöffnete Maul. Sie beugt sich nach vorne. "Es hat ja nicht mal eine Zunge. Hallo! Wartest du auf mich?"

 

 

Sei es durch die Lautstärke oder sonst irgendwelchen Signalen, hebt das Kroko seinen Körper auf und steht nun auf vier Beinen. Lilly ist noch mehr erstaunt, weil sie noch nie gesehen hat, dass die kniehohe Beine haben und schaut und schaut. "Komm! Wieso stehst du da so lange?", ruft er vom Ende der Straße. Sie ist fasziniert - noch genau so lange, bis das Kroko zuschnappt und mit einem langen Satz von der einen Straßenseite zur anderen springt oder trippelt.

 

Sie sieht das nicht mehr so genau, weil sie mit Laufen und zwar sehr schnellem Laufen beschäftigt ist, während sie vor Schreck nicht mal Schreien kann. Nun kommt er ihr aber auch entgegen. "Geht's?". "Wow.". Sie atmet erst mal durch und kontrolliert, ob es hinter ihr ist. Ist es nicht, das Everglades-Kroko liegt wieder regungslos im kurzen Gras, aber nun auf der anderen Seite.

 

 

"Ist das normal, dass die hier frei rumlaufen - ich mein, es frisst mich vielleicht.", zittert sie noch ein wenig. Er lacht. "Naja, es hätte dich auch wieder ausgespuckt.". Jetzt lachen beide, aber sie wird das nicht mehr vergessen und er lässt die Steinchen fallen. Inzwischen ist es dunkel, doch am Ende der Tour gibt es immer noch viel zu sehen, zB. diese minikleinen, grün leuchtenden, giftigen Frösche die einfach auf dem Holz der Pfeiler der Informationstafel sitzen.

 

Ihr Auto ist das Letzte am Parkplatz und im Dunkel ist es auch nicht so einfach, auf den fremden Straßen wieder zum Hotel zurück zu finden. Eine hat die Karte und liest die Schilder, der andere fährt und hofft darauf, dass es klappt - auf dem breiten Highway in Florida.