blonder engel

 

 

Nicht nur der schwarze Messerschleifer oder die Zeugen Jehovas läuten an, sondern Lilly bekommt täglich Besuch von ihrem Vater, Mutter, der Tante, der Cousine mit ihrer Tochter, die sich mit Chrisi auf der Schaukel schwingt und ihre hübsche Freundin bringt ein Päckchen mit Schleife.

 

 

Die Oma pflanzt Erdbeeren, der Mann zieht Tomaten an der sonnigen Garagenwand, Lilly baut Schnittlauch und andere Gewürze am Hang zur Terrasse und fabriziert viele Gläser Marmelade aus den saftigen Früchten des alten, knorrigen, aber reichtragenden Zwetschkenbaumes. Der Opa baut eine Gartenhütte für Christina, wie er es für Lilly gemacht hat, als sie zwei Jahre war.

 

 

Er lässt immer ein wenig Arbeit für sie liegen, wenn er die Latten zurecht sägt, damit die Zweijährige gleich beschäftigt ist, wenn sie vom Mittagschlaf aufwacht und die kann nicht schnell genug angezogen sein, um in den hinteren Teil des Gartens gleich nach der Vier-Fichten-Reihe zu laufen. Beide jausnen, während sie nebeneinander auf einem Holzstapel sitzen und die am blauen Himmel tanzenden Fallschirmspringer zählen. Der kleine Hund wedelt rund um das Meerschweinchen.

 

 

Nach einem Traumsommer bläst der Herbstwind die zarten Blätter von der großen Birke, der Winter verwandelt den Garten in eine Schneezauber-Welt, die ihren Mann und die Tochter herausfordern solange die Schneekugeln zu rollen, bis ein Drei-Meter-Schneemann zum Fenster reinguckt.

 

 

"Es wird Zeit.", erinnert sie ihren Mann, als die Wehen stärker werden und sie ihre Erstgeborene an der untersten Stufe in Empfang nimmt als sie gerade vom Mittagschlaf aufwacht. Sie machen sich zusammen auf den Weg zum Sanatorium, wo sie in den Rollstuhl wechselt und ihr Arzt angerufen wird.

 

 

Lilly will herumgehen, weil es dann schneller geht. Der Arzt kommt in Jeans, bekommt doppelt so viel Geld wie die bereits anwesende Hebamme. Als Lilly einen Schrei loslässt beim Pressen, meint er: "Jetzt tun wir nicht schreien, sondern pressen.", worauf die Hebamme ihn darauf hinweist: "Sie macht alles gut.". Mitten in diesem Mächte-Hick-Hack bahnt sich ihre Tochter den Weg ins Freie, rutscht sozusagen mit einer Länge von 52 Zentimetern und einem Gewicht von 3600 Gramm, wie von selbst ins Leben.

 

 

So schnell sogar, dass Lilly noch "Nein." ruft, weil ihr Mann noch nicht da ist, um sie in Empfang zu nehmen und die Nabelschnur durchzutrennen. Dies übernimmt nun der Arzt, dafür wird sie von Daddy und Schwester, die endlich ihren Parkplatz gefunden haben und zur Tür reinstürmen, gebadet und daumenlutschend, was man auch schon am Ultraschallbild sah, zufrieden zurück zu Lilly gebracht, die sich inzwischen die Nachgeburt herausgepresst hat.

 

 

Von den Schwestern wird Lilly bewundert, weil alles so rasch ging und sie nach zwei Tagen nach Hause fährt. Das Baby schläft schon im Frühling an der frischen Luft im Garten und alles ist genauso einfach und leicht wie bei ihrer Geburt. Sie überrascht Lilly immer wieder, weil sie blonde Haare und blaue Augen hat.