musiktalent & schottergrube

 

 

"Was soll ich?", fragt Lilly noch einmal nach, als sie glaubt, sich verhört zu haben. "Du hast für mich ein Lied komponiert und ich soll mir das jetzt anhören?". Der junge Mann nickt. Es scheint, als hat ihn ihre Anwesenheit in seiner Wohnung nach einem Drift-Nachmittag in einer Schottergrube nahe Linz zu künstlerischen Anflügen inspiriert.

 

Sie kontrolliert noch die frisch abgewaschenen Schuhsohlen ihrer Sneakers, die am Balkon zum Trocknen stehen, in denen vorher noch die kleinen Kiesel und der Staub aus der Grube steckten, setzt sich dann auf den gepolsterten Sessel neben seinem besseren Keyboard in diesem Mini-Studio mit mehreren Instrumenten und Schaltpulten. "Ich bin nicht musikalisch.", entschuldigt sie gleich mal im Vorhinein ihre puristische Gesinnung.

 

Sie hat zwar einen grünen Daumen, kunterbunte Fantasie, ein Herz für Familie und Tiere, liest zehn Bücher in einer Nacht, aber besitzt kein Talent mit Instrumenten - als sie Sopran-Blockflöte lernen musste, hat ihr das selbst am meisten in den Ohren gebrannt und ihre brasilianische Gitarre liegt zur zu Deko-Zwecken herum, damit das Flair im Zimmer südländischer wirkt.

 

Er ist das fehlende Puzzleteil in ihrer Persönlichkeitsstruktur, denn hier in dieser Wohnung gibt es keine Ecke ohne Instrument - er spielt auf allen und zwar so, dass es auch Sinn macht. Nicht umsonst ist er Keyboarder in Waterloos Band. "Wie kommst du denn darauf?", interessiert sie sich für das Stück. Er legt los und sogar beim ersten Mal, erkennt Lilly eine Melodie, die im Ohr hängen bleibt, doch der Text ist auf Deutsch megakitschig nach ihrem Empfinden.

 

Andererseits, wenn sie Lieder von Phil Collins oder Elton John translatet, kommt Ähnliches dabei raus. Es handelt vom Kennenlernen, Anziehungskraft und Wünschen und nach mehrmaligem Anhören, verhängt sich der Refrain im Gehirn. "Wuii, das hast du gut gemacht. Ich dachte nicht, dass ein Song so schnell entsteht.". Da er ein Rundumtalent ist, kommt dieses Lied auf einen Tonträger und dieser in seinen schwarzen Rucksack, den er bei den nächsten Proben an den Schultern hängen hat.

 

Der Proberaum befindet sich in einer gesamten Etage eines Schlosses im Mühlviertel, nahe der riesigen Schottergrube, in der sie mit präparierten Autos auf den Wegen und Serpentinen der mächtigen, beweglichen Baumaschinen nahe des Abgrundes ihre schnellen, gefährlichen Runden zogen. In diesem Proberaum stehen die Konzertgeräte, im Hintergrund das metallisch glänzende, himmelblaue Schlagzeug, das Lilly magnetisch anzieht.

 

Waterloo & Robinson war ihre erste, selbst gekaufte Langspielplatte und der Beginn ihrer Schallplattensammlung. "Darf ich?", fragt sie, bevor sie sich auf den Dreh-Hocker hinter dem großen Schlagzeug setzt. "Sicher. Die wirst du brauchen.". Er reicht ihr die Sticks. Sie donnert die Trommeln nacheinander ab und überlegt, wie man da jemals nach Noten spielen soll, doch es gefällt ihr und sie rockt die großen Marshall-Verstärker.