Eine Uhr von gucci

 

 "Wow, guck mal, die Uhr ist der Wahnsinn. Sieht ein bisschen aus wie die Reverso.". Lilly hat sich in eine farbige A4-Werbeanzeige verliebt und hält sich nicht zurück in ihrem Hype. "Wo gibt's die?", fragt ihr Mann, während er wartet, was in der Küche gezaubert wird und die Tochter herumträgt und bespaßt, wie er es immer tut, nachdem er seinen Betrieb von 17-20 Uhr ruhen lässt, um in der Zeit für die Familie da zu sein und später weiterzumachen mit seinen Aufträgen.

 

"Ja, das weiß ich auch nicht - in Mailand vielleicht?", probiert sie einen Trick, der fast immer funktioniert, weil er reiselustig ist und sie gerade in guter Hoffnung mit der zweiten Tochter, also eine Uhr wäre ein schönes Geschenk. Es klappt. "Machen wir, sag mir wann.". Noch bevor er zur Terrassentür raushetzt, um seine Erstgeborene einzuholen, die auf dem Weg zum Gartenschlauch ist, um ihn damit abzuspritzen und danach seine selbst angebauten Tomaten, die sich neben der Garagenwand an grünen Stecken hochranken.

 

Er zieht knallrote saftige Tomaten, sie Kräuter aller Art am meterbreiten Hang zur Terrasse. Idylle pur. "Wie wärs am Wochenende?". Vom Garten hört sie: "Ok!". Sie legt die Kochlöffel zur Seite und blättert nochmal zu der Anzeige zurück. "Gucci. Hmmm.", sie ist nicht sicher, wo es einen Gucci-Laden überhaupt noch gibt. Die Marke kennt sie aus ihrer Kindheit, als sie bei der schicken Oma, die immer ihre Haare blond und perfekt hatte, Finger, Hals und Ohren feminin geschmückt.

 

"Egal, eigentlich. Ab nach Mailand.". Auf dem Autobahnknoten Mailand in einer 7-Millionen-Einwohner-Metropolregion, muss man aber auch erst mal die richtige Abfahrt finden, um mit viel Glück im Zentrum der Hauptstadt der Lombardei anzukommen. "Wenn die keltischen Insubrer sehen könnten, was aus ihrem Dorf wurde, dass sie 400 v. Chr. gegründet haben.". Lilly sucht eigentlich eine Straßenkarte im Reiseführer, bleibt aber bei der Geschichte Mailands hängen.

 

"Hier war ja auch jedes Land in der Umgebung schon mal Herrscher. Frankreich, Spanien, Österreich. Wir müssen aber vorerst nur zur Galleria Vittorio Emanuele II.", lacht sie und sucht die Adresse vom Gucci-Store. Sie umkreisen die Galleria auf der Suche nach einer bestimmten Straße. Der Zugang zum Laden führt über eine Treppe in den Keller. Dort breitet sich aber vor ihnen eine sehr elegante Verkaufsfläche ganz im veralteten Stil Guccis aus. Die Hohe-Zeit dieser Marke liegt schon etwas zurück.

 

In den Schaukästen findet sie ihr Objekt der Begierde nicht. Sie werden bedient und der elegante Uomo zeigt ihr mehrere verschiedene Modelle an Damenuhren. Die von der Werbeanzeige, die sie zusammengefaltet in ihrer Hosentasche mitträgt, ist nicht dabei, aber dafür ein anderes Modell: Gold, zierlich, mit Spange zu schließen, länglichem, eckigen Gehäuse. "Die hier.". Lilly ist happy. Tom Ford wird neuer Chef-Designer von Gucci und die Marke erlebt im nächsten Jahrzehnt einen himmelstrebenden Hype und erobert wieder die ganze Welt.

 

 

Er holt den Voyager aus dem Parkhaus an der Hinterseite des Hotels und sie die Pässe von der Rezeption. Als alles bezahlt ist und sie durch die Schiebetür nach draußen gehen und mit großen Augen vor der Beifahrertür stehenbleiben. Es hat jemand versucht, das voll bepackte Auto aufzubrechen, was aber nicht gelungen ist. Die Kratzspuren sind direkt neben dem Autogriff sichtbar. "Das kann doch alles nicht wahr sein. Das waren keine 5 Minuten!". Er springt ins Auto: "Komm jetzt, ab gehts."

 

 

Sie kämpfen sich zügig über den verwirrenden Autobahnknoten raus aus Mailand, durch die Lombardei und Richtung Grenze. Es sind noch 1000 Schilling übrig, stellt sie fest, als sie die Pässe in der Tasche verstaut. "Nein, wie dass denn?". Sie machen Halt an einer Autobahnraststelle noch in Italien. Am Parkplatz vor dem Bistro stehen Italiener, die Sachen verkaufen - auch ein alter Mann, dem man niemals unterstellen würde, ein Gauner zu sein.

 

 

Also gucken sie, was er so anbietet. Die Tochter in ihrem Kindersitz wacht auf und will abgeschnallt werden. "Ja, nimm, was er da hat.". "Eine Videokamera?".  Er sieht nicht richtig aus dem Auto raus und ist mit dem Kind beschäftigt. "Ja, warum nicht.". "Ok.". Der alte Mann überreicht ihr einen Original-Karton mit passendem Gewicht und bedankt sich für das Geld. Sie kaufen Snacks, tanken und fahren durch bis zuhause.

 

 

Er erzählt von dem einen Erlebnis in Italien in seiner Jugend mit dem ersten Auto, wo sie den Wagen abstellten am Autobahn-Parkplatz und als sie vom Restaurant zurückkamen, stand die Karosserie auf vier Böcken ohne Reifen. "Ja, lustig. Wie kann so etwas passieren. Die sind ja schneller als beim Boxenstopp am Ring.". Lilly ist zufrieden mit ihrem Einkauf - die Uhr glänzt an der Hand. Die Fotos werden bestimmt wunderbar und eine nette Erinnerung an den letzten Urlaub zu Dritt.

 

 

Er packt den Karton aus und lacht über seine eigene D.....heit, denn drinnen ist eine perfekt geschnitzte Kamera aus Holz. Nachdem sie sich ausgelacht haben, fährt Lilly gleich in die City und will den 36-Foto-Film entwickeln lassen. Es lässt sich die Anzahl nicht richtig zurücksetzen und zurückspulen. "Was solls, mach ich eben einfach so auf. Ein oder zwei Fotos weniger ist egal.". Sie öffnet das Einlegefach - wo keine Filmrolle drinnen ist.

 

 

"Wie verhext ist das alles.". Das mit den Fotos tut ihr sehr leid. Sie klebt in die vielen breiten, farbigen Ordner unter die Überschrift `Mailand Sommer 1994` die Tickets und Hotelkärtchen und ein paar Ausschnitte aus dem Reiseführer, sowie die Gucci-Rechnung und stellt ihn in das volle, schwarze Bücherregal zurück.

 

Abends denkt sie zurück an die Spiegelung in einem Auslagenfenster, wie sie im verspielten Blumenkleid, hüftlangem Haar, mit ihrer zweiten Tochter im Bauch an dem wunderbaren Sommertag den blauen, italienischen Buggy mit ihrem zweijährigen Lockenkopf drinnen, über die heißen Pflastersteine mitten durch die Tauben vorm Mailänder Dom schiebt und prägt sich dies für immer ein.